Wie Trauma-Reaktionen dein Leben kapern können

Zuletzt aktualisiert am June 4, 2024 by Friedrich Müller

Traumatische Erlebnisse können eine große Belastung für unseren Körper und Geist darstellen. In einigen Fällen bleiben die Auswirkungen von Traumata nicht auf die Zeit begrenzt, in der sie sich ereignet haben, sondern sie können Langzeitfolgen nach sich ziehen und unser Leben auf lange Sicht beeinflussen. Dies kann geschehen, indem sich unser Denken, Fühlen und Verhalten verändert – manchmal sogar auf eine Weise, die schädlich sein kann.

In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, wie Trauma-Reaktionen unser Leben kapern können. Wir werden verschiedene Wege betrachten, auf denen sich Traumata langfristig auf uns auswirken können, sowie Strategien, mit denen Betroffene lernen können, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Unser Ziel ist es, ein besseres Verständnis für die Komplexität von Traumafolgen zu entwickeln und dabei zu helfen, selbst in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben.

Kognitive Verzerrungen

Acute Stress Disorder: Definition, Symptoms, Treatment, Coping

Ein Trauma kann unsere Denkmuster und kognitive Verarbeitung auf nachhaltige Weise beeinflussen. Oft entwickeln Betroffene Kognitionen oder Überzeugungen, die ihren Alltag negativ prägen. Zu den häufigsten kognitiven Verzerrungen nach einem Trauma gehören:

  • Übermäßige Selbstkritik und Schuldzuschreibung: Betroffene neigen dazu, sich für das Trauma oder seine Folgen selbst die Schuld zu geben.
  • Negative Weltsicht: Die Welt und die Zukunft werden oft als bedrohlich wahrgenommen.
  • Negative Selbstsicht: Das eigene Selbstwertgefühl ist oftmals stark beeinträchtigt.
  • Kontrollverlust: Betroffene fühlen sich machtlos und der Situation ausgeliefert.
  • Misstrauen: Vertrauen in sich selbst und andere wird in Frage gestellt.

Diese Verzerrungen können Betroffene in einer negativen Gedankenspirale gefangen halten und ihr alltägliches Funktionieren stark beeinträchtigen. Sie neigen etwa dazu, Risiken konstant zu überbewerten oder soziale Interaktionen zu meiden. Therapeutische Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie zielen darauf ab, solche Fehlkognitionen zu erkennen und durch realistischere Gedanken zu ersetzen.

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Vermeidungsverhalten

Do I have PTSD? Recognize the Signs — Aspire Counseling

Ein typischer Schutzmechanismus nach einem Trauma ist es, alles zu vermeiden, was mit dem traumatischen Ereignis in Verbindung gebracht werden könnte. Dies kann kurzfristig hilfreich sein, sich in Sicherheit zu bringen. Langfristig kann Vermeidungsverhalten jedoch kontraproduktiv wirken und die Symptome aufrechterhalten.

Betroffene neigen etwa dazu, Orte, Personen, Aktivitäten oder auch Gedanken und Gefühle zu vermeiden, die sie an das Trauma erinnern. Auch innerliche Verarbeitungsversuche werden gemieden. So kann es sein, dass Betroffene:

  • Sich physisch von Orten des Traumas fernhalten, auch wenn dies nicht mehr nötig wäre
  • Soziale Kontakte meiden oder zwischenmenschliche Nähe verhindern
  • Berufliche Tätigkeiten oder Hobbys aufgeben
  • Über das Trauma oder damit zusammenhängende Gefühle nicht sprechen
  • Sich durch ständige Ablenkung von der Verarbeitung abhalten

Vermeidungsverhalten kann zwar kurzfristig vor Überforderung schützen, verhindert aber langfristig die natürliche Verarbeitung und Bewältigung des Traumas. Regulierte Konfrontation mit vermiedenen Reizen ist daher ein wichtiger Bestandteil der Traumatherapie.

Erhöhte Anspannung und Retraumatisierung

Trauma Focused Therapy for Adults | Mental Health Center

Nach einem Trauma ist unser Körper oft noch lange in Alarmbereitschaft. Kleinste Reize, die an die traumatische Situation erinnern, können dadurch massive Stressreaktionen auslösen. Dieser Zustand erhöhter innerer Anspannung birgt die Gefahr der Retraumatisierung, also des erneuten Durchlebens von Angst und Schrecken.

Einige Folgen der inneren Anspannung sind:

  • Schlafstörungen durch Alpträume oder erhöhte Wachsamkeit
  • Reizüberflutung bei lauten Geräuschen oder plötzlichen Bewegungen
  • Panikattacken oder Angstzustände durch kleinste Trigger
  • Dauerstress mit körperlichen Beschwerden
  • Erhöhte Aggressivität oder Impulsivität
  • Rückzug und Vermeidung sozialer Situationen

Durch diese ständige Bereitschaft, ist es schwierig, Abstand vom Trauma zu gewinnen. Auch im Alltag kann es dadurch immer wieder zu retraumatisierenden Situationen kommen. Entspannungsübungen und achtsame Praktiken können helfen, die Stressantwort zu regulieren.

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Suchtverhalten

The Effects of Trauma on the Brain | Mental Health Blog

Manchmal greifen Traumafolgen auch in Form von Substanzkonsum oder anderen Formen von Suchtverhalten um sich. Hier werden psychoaktive Substanzen oder Verhaltensweisen genutzt, um negative Gedanken und Gefühle zu betäuben oder zu entfliehen.

Häufige Formen sind:

  • Missbrauch von Alkohol oder anderen Drogen
  • Computerspiel- oder Mediensucht zur ständigen Ablenkung
  • Arbeitssucht zur Vermeidung der Auseinandersetzung
  • Essstörungen zur Kontrolle über den eigenen Körper
  • Riskantes oder destruktives Verhalten
  • Sexualisierte oder zwischenmenschliche Abhängigkeiten

All dies kann kurzfristig vor dem Trauma “schützen”, trägt aber langfristig nicht zur Bewältigung bei. Im Gegenteil kann die Substitution negativer Gefühle neue Probleme schaffen und die seelische Gesundheit weiter belasten. Hier ist eine aufmerksame Selbstfürsorge wichtig.

Beziehungsprobleme

How Trauma Affects the Brain | Charlie Health

Unsere Beziehungen zu anderen Menschen werden ebenfalls stark von Traumafolgen beeinflusst. Einerseits ziehen sich Betroffene häufig sozial zurück, andererseits kann es auch zu dysfunktionalen Mustern in Partnerschaften oder Familien kommen.

Beispiele sind:

  • Kontrollverlangen gegenüber dem Partner aus Angst vor erneuter Verletzung
  • emotionale Abhängigkeit oder Klischeeverhalten in Beziehungen
  • Überforderung durch enge Bindungen oder fehlende Intimität
  • Schwierigkeiten, Vertrauen und Nähe zuzulassen
  • Ständiger Streit und Konflikt durch erhöhte Reizbarkeit und Aggression
  • Vernachlässigung zwischenmenschlicher Bedürfnisse zugunsten der Arbeit
  • Fehlende Empathie gegenüber den Bedürfnissen der Familie

Eine offene Kommunikation und der Abbau verletzender Verhaltensmuster sind wichtig, um Beziehungen nicht langfristig zu belasten. Professionelle Paar- oder Familientherapie kann hier unterstützen.

Identitätsverlust

Financial PTSD: Break the spending cycle and regain control | JustMoney

Wenn Traumafolgen zu sehr das Leben bestimmen, können Betroffene auch ihr Selbstbild und ihre Identität in Frage stellen. Sie definieren sich dann in erster Linie über ihre Symptome oder das Trauma. Dies geht einher mit einem Verlust an Selbstwirksamkeit und Lebensfreude.

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Beispiele sind:

  • Sich vor allem als “traumatisiert” oder “krank” zu sehen
  • Den eigenen Charakter, Fähigkeiten und Träume in den Hintergrund zu stellen
  • Sich fast vollständig auf die Vergangenheit zu fokussieren
  • Die Zukunft als bedrohlich oder unplanbar wahrzunehmen
  • An sich selbst und dem eigenen Leben zu verzweifeln
  • Sich aus Angst vor erneuter Verletzung nicht mehr zu entwickeln

Hier sind gezielte Identitätsarbeit, wie die Erinnerung an frühere Stärken und Ressourcen, sowie Handlungsfreiheit besonders wichtig. So können Betroffene ein positives Selbstkonzept entwickeln, dass nicht allein durch Traumata definiert wird.

Fazit

Wie wir gesehen haben, können Traumafolgen unser Denken, Fühlen und Verhalten auf vielfältige Weise beeinflussen. Dies stellt sowohl kurzfristig einen Schutzmechanismus dar, kann sich aber langfristig auch sehr belastend auswirken. Umso wichtiger ist es, Symptome zu verstehen und frühzeitig gegenzusteuern.

Mit professioneller Therapie, dem Abbau dysfunktionaler Muster und der Stärkung der eigenen Ressourcen ist es möglich, dem übermächtigen Einfluss von Traumafolgen entgegenzuwirken. Nur wer die Kontrolle über das eigene Leben zurückgewinnt, kann seine Zukunft auch nach schweren Belastungen selbst gestalten. Der erste wichtige Schritt dazu besteht darin, sich seiner Symptome bewusst zu werden.